Vermutlich schon. Und wenn nicht jetzt gerade, dann gab vermutlich es einen Zeitpunkt, zu dem es so war.
Ich selbst erinnere mich an den Anfang meiner Selbstständigkeit rund um 2009: alles neu, alles aufregend. Schwierig: ja. Spannend: auch. Keine Aufträge. Erste Aufträge. Zu viele Aufträge. Buchhaltung. Steuerberatung. Rechnungen schreiben. Preise ausdenken. Kunden akquirieren. Zulieferer finden. Später auch Personal finden. Und eigentlich hab ich ja was ganz gemacht: Software für Multitouch-Displays im Dauereinsatz entwickelt.
Anfangs ging das alles gleichzeitig. Irgendwann wurde das ganze „rundherum“, alles was nicht Entwicklung war, so groß dass ich es alleine nicht mehr geschafft hab. Todo Listen in 2016 so lang wie mein Arm. Und alles war entweder wichtig oder dringend 🙂 Die Eisenhower-Matrix lässt grüßen. Ich entschied mich damals jedenfalls dazu zum Unternehmercoach nach München zu gehen. Und aus meiner Selbstständigkeit ein größeres Unternehmen zu machen. Das war rückblickend betrachtet eine tolle Reise. Aus Softwareentwicklung wurden komplette Installationen die 24:7 beim Kunden liefen, von der Konzeption und Planung über Programmierung und Hardware bis zu monatlich gezahltem Support.
2024 kam dann ein gesundheitlicher Rückschlag; ich hatte mich zwar wie ich finde ok erfolgreich um Gesundheit, Sport, Spaß, gutes Essen und die Trennung von Arbeit und Freizeit, Partnerschaft, Familie und Freunde gekümmert. Aber. Aber: mir war damals nicht bewusst, dass dieses „normale“ Leben mich ausgesaugt hat. ADHS und Asperger-Autismus war der Konsenz zwischen Arzt und Diagnoseinstitut. Bis heute hab ich es noch nicht ganz kapiert. So viele Dinge, die mir im Alltag schwer fallen. Die „eigentlich ganz einfach“ sein sollten. Eigentlich.
Nur wusste ich davon nichts. Diese Last, Anstrengung, alles kompliziert, umständlich und die ständige Kommunikation und Zeit mit anderen Menschen macht mich müde oder irgendwann aggressiv. Nicht „normal“. Ich gebe es ja ungern zu: ich hasse Emails, Briefe und Telefonate, je nach Energie ist es sogar richtige Angst davor. Ich brauche manchmal Tage oder Wochen (…) um einen Brief oder schwierige Email zu öffnen (!). Merkt man das, wenn man meine Email liest oder mit mir telefoniert? Kaum. Aber der Kampf dahinter: der ist real. Für mich. Was man aber doch merkt, nein, was ich merke, sind die Konsequenzen, wenn ich etwas liegen lasse. Anfragen bleiben lange unbeantwortet, meine Ausgangsrechnungen werden nicht fristgerecht gemahnt, Meine Inbox füllt sich täglich mehr und mehr. Eh zu 90% nur mit Müll. Aber auch der gehört entsorgt. Aus meiner Sicht zumindest. Und wenn dann die Energie mal wieder da ist: am besten gleich alles auf einmal weg.
Das ist natürlich nicht wirklich nachhaltig. Und es gibt Dinge, die wirklich regelmäßig gemacht gehören. Neue Auftraggeber suchen. Projekte abschließen und dokumentieren. Ordnung in den eigenen Systemen halten. Rechnungen senden, zahlen, mahnen. Finanzamt Umsatzsteuer melden. Berichte schreiben. Stunden auflisten und verrechnen. Und das alles oben drauf auf die eigene Arbeit! Ich jedenfalls bin, was solchen Overhead angeht ziemlich „faul“: lieber ein System bauen, als selbst machen. Ob das so eine gute Definition von Faulheit ist… naja. Ich erinnere mich, bei einem Projekt wo 4 Wochen täglich 8 Stunden manuelles Testing anstanden, stattdessen 3 Tage lang ein Testscript entwickelt zu haben, welches ich dann 2 Wochen lang beobachtet habe bei seiner Arbeit. Ergebnis: Arbeit erledigt in 2 1/2 Wochen anstatt 4. Ergebnis für mich: ich wurde pro Zeit bezahlt… Aber das ist ein anderes Thema.
Jedenfalls bin ich seit vielen Jahren, circa 2016 komplett digital unterwegs. Ja, alte Ordner mit Buchhaltung die ich 7 Jahre aufbewahren muss gab es noch. Aber danach wurde alles gescannt. Abgelegt. Einfach suchbar gemacht. Aufgaben in Trello. Scripts. Fotos machen von Dokumenten und speichern als PDF. Manchmal OCR (=Texterkennung aus Bildern). Digitale Meeting Notizen. Mit dem Notebook im Meeting, kein Drucker mehr. Rechnungen nur noch per Email. Das gibt dann manchmal komische Situationen: wenn der Kunde einen 20-seitigen Vertrag als PDF sendet und die unterschriebene Retournierung per Post fordert. Und ich dann mit dem USB Stick zur Druckstation gelaufen bin, um für 50 Cent pro Seite zu drucken. Nun ja.
Mittlerweile bin ich eine Stufe weiter: meine Mails werden von N8N angesehen und vorsortiert. AliExpress Benachrichtigungen, dass jetzt der Zoll durch ist? Never again! Newsletter? Kann ich mir gesammelt zusammenfassen lassen am Ende der Woche. Oder einfach löschen. Eingehende Zahlungsbelege: kann ich automatisch ablegen lassen und in meine Ausgabenliste eintragen. Im Moment baue ich noch am KI-Mahnungs-Bot, der sanft aber nachdrücklich an offene Zahlungen erinnert. Scheitert leider noch an der Bankintegration, aber naja, vielleicht finde ich noch einen Weg herum. Dokumente lasse ich mir zusammenfassen. Texte generieren. Klar ist da viel Müll dabei. Aber auch die eine oder andere Stunde die Woche, die ich mir dadurch spare.
Und ja: ich gehe dann tatsächlich früher heim. Oder in die Sauna. Fahre eine Runde komplett sinnlos zum Kopf frei machen mit dem Motorrad. Oder sitze einfach nur mit dem Kaffee in der Sonne. Und versuche meine drehenden Gedanken etwas zu beruhigen. Aber ehrlich: klappt nicht. Läuft immer weiter. Macht aber in der Sonne mehr Spaß. Und jedes Mal wenn ich beim Kunden Termin auf 2 Rädern ankomme, bin ich erfrischter, als wenn ich mich in die U-Bahn zwänge oder vorher 1/2 h Parkplatz suchen muss. Das ist für mich Lebensqualität.
Und um zum Titel des Artikels zurück zu kommen: Liebe ich meine Arbeit? Nicht immer. Aber ich arbeite daran 🙂
Christian